25
weiter als nach Merkendorf gehen. Du möchtest dir sonst
wehe tun.“
Und so geschah es auch. Andreas schnallte sein Wander-
bündel, aß sein Leibgericht mit großem Beifall, plauderte noch
zwei oder drei Stunden mit seiner Mutter über dieses und jenes
und ging dann, von ihr bis vor die Haustüre geleitet.
Die Witwe aber sprach bei sich, als sie, die beiden Hände
in den Rocktaschen, nach ihrem Stüblein zurückkehrte: »Ich lasse
alles liegen und stehen, auch seinen Rappen; denn er wird nicht
lange ausbleiben.“ Und als eine Stunde darauf die Nachbarin
kam und Schuhe zum Flicken brachte, nahm sie diese an und
antwortete: »Morgen abend könnt Ihr wiederkommen und sie
holen, da werden sie fertig sein.“
Andreas aber, je weiter er ging, desto länger wurde ihm
der Weg nach England und Amerika. Schon auf den Wiesen
zwischen den beiden nächsten Ortschaften gelobte er bei sich
selber, sich mit der neuen Welt nicht einzulassen. In dem
großen Mönchswald gab er auch England auf; in dem tiefen
Sande hinter dem Walde fiel der Zeiger bis auf Frankfurt zurück;
und als ihm in Merkendorf da und dort aus den Stuben ein
heimliches Abendlicht entgegenschimmerte wie vom Himmel dm
ersten Sterne, fühlte er ganz, was es heiße, Mutter und Heimat
auf Nimmerwiederkommen zu verlassen.
So kam er in die Herberge seines Handwerks, nippte ohne
großen Appetit von dem Biere, das ihm vorgesetzt wurde,
und legte sich dann zwischen die Nürnberger Fuhrleute, die
auf dem Stroh in der Stube herumlagen. Sein Wanderbündel
machte er zum Kopfkissen. Dann löschte der Wirt die mit
Schmalz gefüllte Lampe aus, und das Mondlicht herrschte nun
allein in der Stube.
Andreas aber hatte einen schlimmen Platz gewählt. Sein
Schlafkamerad zur Linken träumte vielleicht von einer Schlägerei.
Wenigstens schlug er mit seinen großen und harten Fäusten
gewaltig um eich und traf dabei den Schuhmacher so in das
Genick, daß dieser erschrocken aufsprang und eine andere
Schlafstätte suchte. Eine lange, schmale Tafel, welche an der
Wand von dem Fenster bis zur Stubentüre reichte und auf
der nichts stand als ein Scheffel, lud ihn ein. Er hob den
Scheffel herab und sein Wanderbündel hinauf und legte sich
dann selbst nach Bequemlichkeit zurecht. Wenige Minuten
darauf schloß ein sanfter Schlaf seine Augen, und die Erinnerung
aus seiner frühesten Jugend zog, in einen Traum verwandelt,
durch seine Seele. Es träumte ihm, er liege als Knabe von
sieben oder acht Jahren zum Baden entkleidet auf einem flachen
Ufer der Altmühl und wollte sich in dem schwarzen Schlamme
wälzen, um dann seinen Kameraden plötzlich als Mohr zu er-
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T196: [Tisch Tag König Hand Wein Herr Haus Gast Abend Frau], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr]]
Extrahierte Personennamen: Andreas Andreas Andreas
Extrahierte Ortsnamen: Merkendorf England Amerika England Frankfurt Merkendorf
11
Ein einsamer Mann schritt eilig auf dem schmalen, grasbewachsenen
Fußpfade vorwärts. Er war noch jung. Ein leichter Flaum sproßte
über den frischen Lippen, und die hellgrauen Augen blitzten unternehmend
und sorglos in die Welt.
Ein lustiges Lied vor sich hinträllernd, achtete er wenig auf seine
Umgebung; er sah weder rechts noch links; er bemerkte es auch nicht,
daß die zuerst vereinzelt stehenden Sträucher und Bäume einander immer
näher rückten.
Plötzlich blieb er stehen. Die Pfade kreuzten sich nach verschiedenen
Richtungen, und gerade vor ihm erhob sich ein dichter Wald. Überlegend
sah er um sich. Weißer Nebel stieg aus den Wiesen hinter ihm; der
Mond war aufgegangen und goß sein bleiches Silberlicht über die Berge;
schwarz und schweigend stand der Wald da.
Sollte er eintreten? Einen Augenblick besann er sich. Dann warf
er trotzig seinen Kopf zurück und schritt vorwärts, zuerst vorsichtig, dann
rascher. Immer tiefer drang er ein. Gespenstig drohend streckten die
hohen Bäume ihre Äste gen Himmel. Der zuerst ziemlich breite Weg
wurde immer schmäler. Kaum mehr dem Auge erkennbar, schlängelte er
sich zwischen dem Buschwerk dahin.
Der Jüngling mochte wohl mehrere Stunden so gegangen sein;
Hunger und Müdigkeit drohten, ihn zu übermannen. Immer langsamer
wurden seine Schritte, bis er endlich ganz stehen blieb. Er konnte nicht
mehr vorwärts. Gerade vor ihm, quer über dem Weg, lag ein vom
Sturme entwurzelter Stamm. Erschöpft ließ er sich auf diesen nieder,
es war ihm unmöglich, weiter zu marschieren. Nachdem er eine Zeitlang
geruht hatte, raffte er sich empor und eilte wieder zurück auf dem Wege,
den er hergekommen war. Eine plötzliche, ihm sonst ganz ungewohnte
Angst hatte ihn überfallen. „Nur fort, nur heraus aus diesem Walde,"
dachte er, „ganz gleich, wohin." Trotz seiner Ermattung lief er vorwärts,
so schnell ihn die Beine trugen, einmal auf diesem, dann wieder auf jenem
Wege. Aber zu seinem größten Schrecken gewahrte er, daß er immer
wieder an den Ort zurückkehrte, von dem er ausgegangen war. Ver-
zweifelnd warf er sich nieder, vergrub das Gesicht in beide Hände, schluchzte
und rief laut um Hilfe. Als er wieder emporsah, schrak er zusammen,
denn vor ihm standen drei Männer.
Der eine trug ein prächtiges, reich mit Gold gesticktes Gewand, das
von einem glänzenden, mit Edelsteinen geschmückten Gürtel zusammen-
gehalten war. Der zweite hatte ein schwarzes Kleid mit rotem Gürtel
und der dritte ein blaues Hemd und einen einfachen Ledergurt. In der
nervigen Faust hielt er eine schwere Axt.
„Was tust du hier?" fragten ihn die drei. — „Erbarmt Euch meiner,
ich verschmachte. Sagt mir, wo ich eigentlich bin." — „Du bist im Walde
des Elends", gaben sie zur Antwort. — „Helft mir, rettet mich, führt
mich hinaus aus dieser entsetzlichen Wildnis", flehte er sie au. — „Wähle
einen von uns, der dich führen soll."
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T75: [Haar Auge Kopf Hand Gesicht Mann Farbe Mantel Fuß Frau], T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T121: [Feind Reiter Pferd Heer Mann Flucht Lager Soldat Seite Reiterei], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T123: [Haar Mann Kopf Frau Hand Fuß Kleidung Mantel Hut Schuh], T152: [Auge Haar Gesicht Nase Krankheit Körper Mensch Mund Ohr Kopf]]
47
Doch vor dem Hauch wo uns vor Jahren Mir war, als rief es aus den Wogen:
die Mutter stets empfing, dort sah Flieh, flieh und ohne Wiederkehr!
ich fremder Menschen fremd Gebaren; Die du geliebt, sind fortgezogen,
wie weh, wie weh mir da geschah! sie kehren nimmer, nimmermehr.
Hermann von Ltngg.
Arbeiter?.
Dein wahres Glück, o Menschenkind,
o glaub es doch mit nichten,
daß es erfüllte wünsche find:
Es find erfüllte Pflichten.
28. Die Arbeit.
In der Königlichen Gewehrfabrik zu Spandau ruhte heute die Arbeit;
es war Königs Geburtstag, und um ihn würdig zu feiern, hatte mau
den größten der gewaltigen Arbeitssäle ausgeräumt und mit Tannenlaud
und Fahnen in einen Festsaal verwandelt. Kopf an Kopf standen die
Beamten und Arbeiter mit ihren Frauen und erwachsenen Kindern im
Saale, und am dichtesten waren sie um das Rednerpult gedrängt, das
soeben der Direktor bestieg, um das Fest mit einer Ansprache zu beginnen.
„Arbeiter der Gewehrfabrik!" sprach er, „wir sind hier versammelt
an einer Stätte der Arbeit. Es steht uns deshalb wohl an, über die
tieferen Gründe, warum und wofür wir arbeiten, einmal nachzudenken.
Unsere Arbeit ist nicht leicht, sie erfordert Fleiß und Geschicklichkeit; unsere
Arbeitszeit ist nicht kurz, denn sie erfüllt unsern Tag. Was ist es, das
diese Arbeit uns so wert macht, daß ein jeder sich freut, sie zu haben?
Ist es das Geld, das sie uns trägt? Da wären wir, sage ich euch, arm-
selige Geizhälse l Der Mensch lebt nicht um der Arbeit willen, auch arbeitet er
nicht um des Geldes willen. Seine Hauptaufgabe liegt daheim im Kreise der
Seinen! Denn alles, was lebt, muß dafür sorgen, daß es
erhalten bleibe. Dies ist das ewige Gesetz, das uns die Arbeit auf-
erlegt. Um sich und Weib und Kind zu ernähren, geht der Mann auf
Arbeit aus — mag er nun wie unsere Vorfahren mit Schlinge und
Spieß zum Walde ziehen, um den Hirsch zu fangen, oder mag er wie
wir zur Werkstatt und Fabrik gehen. Dort war's der Hirsch, hier ist's
das Geld, das ihm den Tisch zu Hause decken hilft. Die Form des
Lohnes hat zwar oft im Zeitlauf gewechselt, der Lohn selbst aber ist
stets geblieben, er war und bleibt die lachenden Augen der Kinder, das
reinliche Heim! Wir arbeiten, um zu leben! Das zeigt uns
der Ackersmann, der auf eigener Scholle die Früchte zieht, die er selbst
zum Unterhalt gebraucht; das beweist vor allem ihr, ihr nimmermüden
Hausftauen, deren Arbeit keinen andern Lohn erstrebt, als mit den Eurigen
zu leben. Das lehrt auch ihr, ihr Schwestern der Barmherzigkeit, die
ihr in schwerer Arbeit euch müht, auch unsere Kranken und Elenden
noch dem Leben zu erhalten. An diesen Beispielen erkennt ihr, wie
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T40: [Fabrik Maschine Industrie Arbeiter Stadt Weberei Arbeit Herstellung Handel Art], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T43: [Haus Frau Kind Mann Arbeit Wohnung Familie Zeit Zimmer Kleidung], T151: [König Volk Kaiser Reich Fürst Land Gott Wilhelm Deutschland Frieden]]
74
38. Versöhnung.
3m Roten yahn zu Eisenerz gab es wilden Streit. Die Wirtin
und die Aellnerin liefen atemlos im Orte umher und fahndeten nach
der Polizei. Der dicke Hahnenwirt war ganz behende vor Angst,
schlug die Hände zusammen, begütigte und beschwor. Ganz witzig
wurde er, als er sah, daß sich die Aampflust zu Gunsten seiner Ge-
räte bloß gegen Personen wendete.
Als sich die elektrischen Funken stark entladen hatten, ergab sich
die Dämpfung von selbst.
Um was sich's nur heute wieder gehandelt hat? Des Erzes
wegen hatten sie gestritten, die Anappen des Erzberges. Da hatte
der Italiener Ozzotti, aus dem friaulischen Lande herbeigekommen,
um sich Geld zu verdienen, mit sehr lauter Stimme, aber in sehr
schlechtem Deutsch behauptet, der Erzberg gehöre schon gar am
wenigsten den Deutschen.
wem denn? fragten die Burschen des Tales.
Eher den Aelten, die ihn wohl zuerst angestochen hätten.
So sollten sie immerhin kommen, die Herren Aelten, und den
Lrzberg auf einem Schubkarren davonschieben! Aommen? Das
könnten sie nicht, meinte der welsche, denn sie wären — was man
so aus den Büchern lesen könne — tot, samt und sonders, hingegen
seien die Römer die Erben der Aelten geworden!
Und die Deutschen die Erben der Römer! warf der Schichten-
schreiber ein.
wieso das? eiferte Ozzotti, das wäre ein neuer Brauch,
jemanden zu beerben, bevor er tot sei. Die Römer lebten noch sehr
frisch in den heutigen Italienern fort und würden ihr Recht in
Noricum schon wieder zurückverlangen.
Das wäre sauber! versetzte nun der Bergknappe Aeter Ober-
dörfer, so ein welscher Aatzelmacher, der in Österreich geboren sei
und sein Fortkommen sinde, der im Auslande sich als Österreicher
brüste, weil er als solcher und nur als solcher gern gesehen sei; der
die Deutschen wohl heimtückisch hasse, aber vor ihnen krieche und
sie recht gern aufsuche, wenn er Geld brauche, ein solcher nenne sich
einen Römer!
Ozzotti war aufgefahren, daß seine weiten, fahlen Zwilchhosen
und sein grobes Streifenhemd zitterten; fein sonnenverbranntes Ge-
sicht wurde noch dunkler, seine scharfen, unruhigen Augen noch un-
ruhiger und zuckender, die derben Finger vergrub er krampfhaft in
sein Gewand, zu sehen, als wollte er in demselben ein Messer suchen
und hervorziehen. Nicht der eigentliche Borwurf hatte ihn so sehr
empört, sondern das Wort „Aatzelmacher". Er wußte zwar gar
nicht, was es heißen und sagen sollte, wohl so wenig als der es
wußte, der es ausgesprochen, aber es galt einmal als Schimpfname
gegen die welschen, in den man allen Spott und Hohn, die An-
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T75: [Haar Auge Kopf Hand Gesicht Mann Farbe Mantel Fuß Frau], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T196: [Tisch Tag König Hand Wein Herr Haus Gast Abend Frau], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T123: [Haar Mann Kopf Frau Hand Fuß Kleidung Mantel Hut Schuh]]
77
Aber oft eine einzige Wendung des Rörpers genügt, daß Ge-
danken und Gemüt eine andere Richtung nehmen. Gin paar schritte
machte er hastig in den Hintergrund, dann blieb er stehen und sagte:
Mieter! Was ist das gewesen? Was ist dir jetzt eingefallen?
So schlecht wärest du? Zum Aushenken wärest du! Bei der Arbeit
im Schacht einen umbringen! Von rücklings umbringen! — Peter,
das ist dein Grnst nicht gewesen. Im Wirtshaus schlägst ihn tot,
wenn er weiß, warum's ihm geschieht! So teuselhast denken! Im
Schacht da unten! Und meuchlerisch! Wäre das eine Rache?
Rann's nicht jeden treffen im Bergwerk? Im Wirtshaus schlägst
ihn tot. S’ ist noch nicht finster. —
Gr ging wieder an seine Arbeit und hieb und hämmerte scharf
draus los. Und als er später innehielt, um sich den Schweiß von
der Stirne zu trocknen, murmelte er in sich hinein: Du wärest mir
lieber gewesen, Peter, wenn dir der höllische Gedanken nicht wär'
gekommen. Aus wen sollte der Wensch denn ein Vertrauen haben,
als aus sich selber? — Wie wirst du heute deinem Weib ins Ge-
sicht schauen können? — Hinterwärts umbringen! Im Bergwerk!
Glender Wicht! Gr arbeitete wieder und schlug und hieb, als
kämpfe er mit seinem Werkzeug noch hart gegen die Versuchung
oder gegen die Vorwürfe des Gewissens. —
Von diesem Tage an war seine Empfindung eine andere, wenn
ihm der Italiener einfiel. Gs war ihm fast wie in Furcht und
Angst, der Welsche könne ihn vor Gericht belangen oder gar den
südländischen Brauch der Blutrache einführen. Denn jetzt wäre ja
an dem Welschen die Reihe. — Das Würgen an der Gurgel spürte
der Peter Oberdörfer nicht mehr seit jener Stunde im Schacht. Die
schlimme Tat war mit einem noch schlimmeren Gedanken gesühnt!
So wollte Peter nun nichts mehr, als aus den Welschen ver-
gessen , oder ihn zuhöchst — weil es dem Rerl doch nicht ganz ge-
schenkt bleiben sollte — bei guter Gelegenheit ein wenig durch-
bleuen.
So war es, als eines Tages in den Tiefen des Grzberges, un-
weit des Hubertusstollens, sich böse Wetter zeigten, die Rnappen
in Wirrnis die Flucht ergriffen und die beiden Rcänner sich plötzlich
gegenüberstanden.
„Gr muß doch mein Unglück sein!" stöhnte Peter und stürzte zu
Boden, denn die Stickluft hatte ihn bereits betäubt.
Der Italiener raffte den Ohnmächtigen vom Boden aus, warf
ihn über die Achsel und eilte mit solcher Last im nächtigen Labyrinth
der Stollen hin und her — die Grubenlampe war ihm schon ver-
loschen, die Orientierung hatte er auch verloren, schwerer Gruben-
dunst beengte ihm die Brust. Gr rüttelte den Peter. Rannst du
gehen, Ramerad? Rannst du? Niente (nicht)? (D, jetzt ist es finster ge-
worden ! Schon wollten auch ihm die Sinne vergehen, als aus einem
Seitenstollen roter Lichtschimmer winkte. Dort ist Rettung. Wo
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T12: [Wasser Luft Erde Höhe Körper Fuß Dampf Bewegung Druck Gewicht], T42: [Körper Wasser Luft Blut Mensch Pflanze Haut Tier Speise Stoff], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T12: [Wagen Wasser Stein Rad Fuß Maschine Pferd Bewegung Hand Schiff], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat]]
Extrahierte Personennamen: Peter Peter Peter_Oberdörfer Peter Peter Peter
259
hier im Himmel, wo man, wie ich schon bemerkt habe, doch nur faulenzt."
Er ging weiter und sah einen Wagen, der in einem tiefen Loche stecken
geblieben war. „Kein Wunder," sprach er zu dem Manne, der dabei
stand, „wer wird so unvernünftig aufladen? Was habt ihr da?" —
„Fromme Wünsche," antwortete der Mann; „ich konnte damit nicht aus
den rechten Weg kommen; aber ich habe den Wagen noch glücklich heraus-
geschoben, und hier werden sie mich nicht stecken lassen." Wirklich kam
ein Engel und spannte zwei Pferde vor. „Ganz gut," meinte Pfriem,
„aber zwei Pferde bringen den Wagen nicht heraus, viere müssen wenigstens
davor." Ein anderer Engel kam und führte noch zwei Pferde herbei,
spannte sie aber nicht vorn, sondern hinten an. Das war dem Meister-
Pfriem zu viel. „Tolpatsch," brach er los, „was machst du? Hat man
je, so lange die Welt steht, auf diese Weise einen Wagen herausgezogen?
Da meinen sie aber in ihrem dünkelhaften Übermute, alles bester zu
wissen." — Er wollte weiter reden; aber einer von den Himmelsbewohnern
hatte ihn am Kragen gepackt und schob ihn mit unwiderstehlicher Gewalt
hinaus. Unter der Pforte drehte der Meister noch einmal den Kopf nach
dem Wagen und sah, wie er von Flügelpferden in die Höhe gehoben ward.
In diesem Augenblicke erwachte Meister Pfriem. „Es geht freilich
im Himmel etwas anders her als auf Erden," sprach er zu sich selbst,
„und da läßt sich manches entschuldigen; wer kann jedoch geduldig mit
ansehen, daß man die Pferde zugleich hinten und vorn anspannt? Freilich,
sie hatten Flügel; aber wer kann das wissen? Es ist übrigens eine ge-
waltige Dummheit, Pferden, die vier Beine zum Laufen haben, noch ein
Paar Flügel anzuheften. Ich muß jetzt aufftehen, sonst machen sie mir
im Hause lauter verkehrtes Zeug. Es ist nur ein Glück, daß ich nicht
Wirklich gestorben bin." Wilhelm Grimm.
113. Der Dachs auf Lichtmeß.
In den alten Ritterzeiten wurden die Bürger einer kleinen schwäbischen
Reichsstadt arg gequält von dem Ritter von Dachsburg, welchen man
meistens kurzweg den „Dachs" hieß. Wo er ihnen auflauern und Hab
und Gut wegschnappen konnte, da tat er's. Am liebsten hätte er gleich
das ganze Städtlein eingesteckt, allein es war doch etwas zu groß für
seine Taschen. Auch deuchte es ihm kurzweiliger, auf scharfem Roß ins
Weite zu schweifen, als Mauern und Türme zu berenneu. Solange daher
die Bürger hinter ihrem Stadtgraben blieben, hatten sie Ruhe; zog aber
einer auch nur ein paar Stunden über Feld, so stand Geld und Freiheit
auf dem Spiel.
Ein solcher Stadtarrcst kann auf die Dauer auch dem geduldigsten
Deutschen zu arg werden. Da sich die Bürger aber zu schwach fühlten,
für sich allein dem Dachs zu Leibe zu rücken, so schlossen sie heimlich
ein Schutz- und Trutzbündnis mit mehreren Nachbarstädten; allein der
Ritter kam ihnen auf die Schliche und verbündete sich nun auch seinersetts
mit mehreren benachbarten Rittern. So ward aus der Wegelagerei ein
kleiner Krieg. 17*
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger]]
TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T12: [Wagen Wasser Stein Rad Fuß Maschine Pferd Bewegung Hand Schiff], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch], T46: [Körper Blut Wasser Luft Haut Magen Herz Speise Muskel Mund], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]
Extrahierte Personennamen: Pfriem Wilhelm_Grimm Wilhelm
261
Schenkwirte und ähnliche feuchte Berufe an die Bachseite postierte. Til
wichtigsten Punkte waren jedenfalls die beiden Tore; am Bachtor hielten
darum die fauststarken Gerber Wacht, am Bergtor die noch nervigeren
Schmiede.
Nun galt freilich vordem Michael der Schmied für den stärksten und
kühnsten Mann in der ganzen Stadt, und man hätte ihm gerne den Befehl
am Bergtor übertragen, wäre er nicht neuerdings Michel der Leimsieder
geworden. So aber hielt der Rat dafür, daß ein so gleichgültiger, stummer
und selbstgenügsamer Mann für den gefährlichsten Posten nichts tauge, und
stellte ihn in die Reserve zu den alten Leuten und unbärtigen Jungen.
Der Schmied nahm das ganz ruhig hin, als ob sich's von selbst verstünde,
und schmiedete ruhig fort an seiner Esse.
Inzwischen war dem Rat die geheime Kunde geworden, daß der
Dachsburger nächste Woche auf Lichtmeß mit seinen Freunden zusammen-
stoßen und in also vereinter Macht einen Hauptstreich wider das Städtlein
führen werde. Es galt, dieser Vereinigung der Gegner zuvorzukommen,
und zwar stand die Sache derart auf Spitz und Knopf, daß man den
Dachs entweder in dem Augenblick überfallen mußte, wo er seine Burg
verlassen, den Sammelplatz der Gefährten aber noch nicht erreicht hatte,
oder, wenn diese einzige Stunde versäumt würde, Verzicht leistete auf jeden
Angriff und hinter den schwachen Mauern alle Plage einer sehr bedenk-
lichen Belagerung auf sich nahm.
Um dem Ritter den Weg zu verlegen, mußten aber die Bürger
wenigstens den Sammelplatz wissen, nach welchem er auf Lichtmeß von
seiner Burg ziehen wollte. Sie schickten zu dem Ende drei Kundschafter
aus, einen Metzgerknecht, einen Schustergesellen und einen Schneiderjungen.
Allein die Späher kamen nicht wieder, sondern statt ihrer ein Bote des
Ritters, vermeldend, sein Herr habe jene drei auf verdächtigen Wegen
ertappt und festgenommen, sei aber bereit, sie gegen sehr billiges Lösegeld
auszuliefern. Wolle ihm der Rat statt des Metzgers ein paar fette Mast-
ochsen, statt des Schusters ein paar fette Schweine und statt des Schneiders,
der gar leicht und mager sei, ein paar zarte, junge Zicklein senden, nebst
sechs Maltersäcken Korn als Brot zum Fleische, dann könne er die drei
Burschen im Stadtwald gegen Quittung wieder in Empfang nehmen.
Die Bürger waren außer sich über diesen neuen Schaden samt dem
Spott; dazu drängte die Zeit, denn morgen bereits stand Lichtmeß im
Kalender. Schon früh am Tage hielt man Kriegsrat auf dem Rathause.
Im engeren Ringe standen die Hauptleute der Zünfte, wie auch die Führer
einiger fremder Mannschaft, die von den befreundeten Nachbarstädten
herübergeschickt worden war, im weiteren Ring die anderen bewaffneten
Bürger als Zuhörer.
Es drohte aber eine bedenkliche Spaltung; denn einem Teile war
die Nachricht, der Dachsburger wolle auf Lichtmeß ausziehen, nachgerade
so verdächtig geworden, daß sie behaupteten, der Ritter selbst habe sie aus-
gesprengt, um die Stadt irre zu führen, und die Gefangennahme der
Späher sei bereits die erste Frucht seiner gelungenen List. Die anderen
TM Hauptwörter (50): [T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T23: [Stadt Feind Tag Heer Mauer Mann Lager Nacht Kampf Soldat], T40: [Fabrik Maschine Industrie Arbeiter Stadt Weberei Arbeit Herstellung Handel Art], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser]]
TM Hauptwörter (200): [T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T140: [Stadt Franzose Feind Festung Truppe Tag Mann Paris Belagerung Angriff], T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt]]
263
„Da Michel alles weiß, so kann er uns vielleicht auch sagen, welches
Weges morgen der Dachsburger ziehen wird?" sagte der Gerbermeister
in zornigem Spott.
„Allerdings", erwiderte der Leimsieder trocken.
„Und habt ihr das auch von den Knechten des Ritters?"
„Nein, sondern vom Ritter selber." Und wiederum schwieg er, als
harre er weiterer Fragen.
„Himmel und Welt!" rief der Bürgermeister, „lauf' doch einer in
die Werkstatt des Schmiedes und hole die große Zange, daß wir ihm die
Worte etwas leichter aus dem Munde ziehen können!"
„Die Zange brauchen wir jetzt nicht," sagte Michel, „aber den
Hammer werden wir brauchen, morgen stütz vorab, wenn es wider den
Dachsburger geht. Und jetzt höret das übrige. Ich selber habe dem
Ritter unsere drei Kundschafter fangen helfen. Das kam nämlich so: Es
ließ mir keine Ruhe, ich mußte Näheres erforschen über den Plan unseres
Feindes. Ich schlich mich daher in einem Bauernkittel zum Müller in
der Lohe, wo der Dachs mit seinen Knechten und einer Schar Bauern
hielt, die er dorthin entboten, um mit ihrer Hilfe ein weidgerechtes Treib-
jagen auf die drei städtischen Kundschafter anzustellen. Die Bauern kennen
mich alle, aber keiner wird mich verraten; denn wegen des Söldnerbauern
Gertrud halten sie mich für ihresgleichen. So wurde ich also mit ihnen
im Treiben aufgestellt. Natürlich hatte ich die Absicht, unsere drei Leute
auf meiner Linie auskommen zu lassen, und das wäre auch geschehen,
wenn sie nicht gar zu selbstgewiß all' meine Winke verachtet hätten.
Mögen sie es also haben. Nach vollführtem Fang bewirtete uns der
Ritter auf der Mühle, und als er nach manchein tiefen Trunk etwas
stark redselig wieder zu Pferde stieg, blickte er nach dem Mond und sagte
zu mir, der ich das Roß am Zügel hielt: „Wachsend Licht und Ostwind
— das gute Wetter wird standhalten. Sonnenschein auf Lichtmeß! Der
Dachs wird seinen Schatten sehen, wenn er aus der Höhle tritt. Bäuerlein!
Wie heißt der Spruch vom Dachs auf Lichtmeß?" Da erwiderte ich:
„Sieht der Dachs auf Lichtmeß seinen Schatten, so kriecht er auf vier
Wochen wieder in den Bau zurück." Der Ritter lachte und rief zu seinen
Leuten, indem er dem Pferd die Sporen gab: „Heuer wird der Dachs
den Spruch zu Schanden machen!" Ich verstand wohl, was er meinte,
und schlich in meiner Angst dem Reiterzuge nach, der im Schritt den
steilen Berg hinanklomm. Indem ich nun so im Schatten des Wald-
saumes nebenherhuschte, vernahm ich, wie der Ritter von der Klosterwiese
als dem Sammelplätze sprach, wo er auf Lichtmeß am Vormittage mit
seinen Freunden zusammentreffen wolle. Von der Burg zur Wiese gibt
es aber nur einen Weg für berittene Mannen, nämlich durch die Schlucht
im Rauchholz. Dort müssen wir morgen zur rechten Stunde lauern oder
nirgends; und nun wisset ihr alles, was ich selber weiß."
Michael wollte bescheiden wieder auf seinen Platz zurückgehen, aber
die anderen duldeten das nicht; jeder wollte ihn ausfragen, beloben, seinen
Rat hören; der Leimsieder war mit einem Male der Mann der Volks-
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger]]
TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind]]
Extrahierte Personennamen: Michel Michel Gertrud Michael
264
gurrst geworden, obgleich sich doch alle vor ihm hätten schämen sollen als
vor ihrem leibhaften bösen Gewisien, welches ihnen wie ein Spiegel, nur
im verkehrten Bilde, die eigenen Mängel vorhielt. Keiner zwar zupfte
sich an der eigenen Nase, sondern ein jeder seinen Nebenmann, und es
gab ein babylonisches Gewirr, in welchem das Lob des Schmiedes mit
den gegenseitigen Vorwürfen der einzelnen zusammenfloß.
Nun fand sich's auch urplötzlich, daß es in der Rüstkammer fehle
und im Proviantgewölbe; denn alle hatten geredet, keiner gerüstet, alle
gezecht, keiner gehandelt, den Leimsieder ausgenommen, der sein Hans
bestellt hatte für jeden Fall, während er ganz füll seinem Tagewerk und
seiner Liebschaft nachging.
So endete er auch jetzt den greulichen Tumult, indem er seinen
Harnisch zeigte, der gefestet und blau? geputzt, und sein Schwert, das
scharf geschliffen war, und sich erbot, dem Dachsburger selber in der
Waldschlucht zu Leibe zu gehen, wofern ihn nur zwölf tüchtige Burschen
begleiten wollten. Die fanden sich bald, und die Befehlshaber redeten
auch kein Wort wider das Wagnis; denn sie fürchteten schon, der Leim-
sieder möge ihnen allen über den Kopf wachsen; werde er etwa vom
Ritter geduckt, so sei es gerade kein Unglück.
Am anderen Morgen zog Michael zum Tor aus, nicht mit zwölf,
sondern mit dreißig Genossen; denn Tatkraft lockt zur Tat. Ein größerer
Hause marschierte in der Richtung der Klosterwiese, um mit Vermeidung
eines Gefechts die dort sich versammelnden anderen Ritter zur Seite zu
locken, daß sie nicht etwa dem Dachsburger entgegenritten. So hatte es
der Leimsieder schon längst im stillen ausgedacht.
Lautlos strich er mit seiner Schar in der frühen Dämmerung durch
den Wald und stellte in der Schlucht die Zünftler ins Versteck hinter die
Bäume und Felsstücke. Ju der Rechten hielt er den wuchtigen Schmiede-
hammer, das Schwert ruhte in der Scheide, über der Rüstung trug er
den Bauernkittel, in welchen er sich so oft zu ganz anderen Abenteuern
verhüllt hatte. „Sonnenschein auf Lichtmeß!" war der Feldruf der
Städter an diesem Tage.
Als eben die späte Februarsonne hellglänzend durch die landloses
Wipfel aufstrahlte, nahte sich der Ritter, sorglos den engen, steinigen Pfad
herabreitend; die Knechte folgten ihm einer hinter dem anderen; denn der
Weg bot nicht Raum für zwei. Der Harnisch des Dachses glühte im
goldenen Licht, und der Schatten von Roß und Mann fiel langgestreckt
vor ihm her. Da trat aus zwölf Schritt der Schmied aus dem Gebüsch
entgegen. „Sonnenschein aus Lichtmeß" ries er. „Herr Ritter, ihr macht
ein Sprichwort zu Schanden. Der Dachs sieht seinen Schatten, aber er
kehrt nicht mehr in seinen Bau zurück!" Und bei diesen Worten warf er
den Hammer im Bogen dem geharnischten Mann entgegen — er hatte
den Wurf oft daheim geübt, während die anderen auf dem Rathaus Reden
übten. Der Hammer sauste dem Gegner an den Kopf; doch schlug ex
ihm nur bett Helm herab, welcher lose und bequem aufgesetzt gewesen.
Allein das Roß scheute, bäumte, und ehe der erschrockene Reiter des er--
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T91: [Haus Fenster Wand Stein Dach Zimmer Holz Feuer Raum Decke]]
TM Hauptwörter (200): [T112: [Schwert Ritter Schild Waffe Lanze Pferd Speer Hand Helm Pfeil], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T6: [Berg Fuß Höhe Gipfel Gebirge Schnee Meer Fels Ebene See], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte]]
265
schrockenen Tieres Meister ward, stürzte es im Gestein des abschüssigen
Pfades. Mit dem Sturz aber kamen dem kampfgewohnten Manne die
Sinne wieder; im Nu war er aus den Bügeln, auf den Beinen, zog das
Schwert und sprang dem Schmied entgegen, der kaum rasch genug sein
eigen Schwert aus der Scheide reißen konnte. Sie prallten beide gleich-
zeitig aneinander.
„Sonnenschein auf Lichtmeß!" schrie der Leimsieder und hämmerte
in fürchterlichen Naturhieben auf des Gegners Harnisch, als hätte er
glühendes Eisen auf dem Amboß.
„Ich will dir den Sonnenschein auf ewig verdunkeln", erwiderte der
Ritter und gab ihm zugleich die Hiebe kunstgerechter, doch nicht minder
kräftig heim.
„Sonnenschein und Sturm zugleich!" rief der Michel. „Wenn's
auf Lichtmeß stürmt und tobt, der Bauer sich das Wetter lobt!" und
schlug dem Ritter einen Querhicb ins Gesicht, daß das Blut die Backen
herunterkam.
Nun kam auch dem Dachs der Humor: „Lichtmeß hell, gerbt dem
Bauer das Fell!" entgegnete er und zog dem Michel einen Hieb über
die linke Schulter, daß er dachte, er habe den Bauer durch und durch
gespalten. Aber der Harnisch, an welchem der Leimsieder gehämmert,
während seine Mitbürger Stroh gedroschen, fing den Streich auf, und nur
der Bauernkittel, in Fetzen geschlagen, fiel von der Schulter, daß der Schmied
plötzlich in blanker Rüstung wie ein Junker vor dem Ritter stand.
„Lichtmeß dumper*), macht den Bauer zum Junker!" donnert
Michel nun, die richtige zweite Halbstrophe zu der eben gesprochenen ersten
des Ritters fügend.
„Wird der Bauer zum Junker, geht die Welt unter!" ries der
Dachs mit entsprechendem Streich.
„Für dich geht sie unter heut auf ewig!" antwortete der Leimsieder
mit entsprechendem Gegenstreich, und mit der Losung: „Sonnenschein auf
Lichtmeß!" fiel er immer wütender den Ritter an.
„Auf Lichtmeß sieht der Bauer lieber den Wolf in der Herde als
die Sonne am Himmel!" brüllte der Ritter. „Ihr sollt den Wolf
haben und die Sonne zugleich!" und schwang sein Schwert gewaltig über
Mchels Kopf.
Der Ritter behielt das letzte Wort. Der Schmied wußte keinen
Wetterspruch von Lichtmeß mehr, aber er behielt den letzten Hieb. Denn
kaum hatte der Dachsburger jenes Wort gesprochen, so spaltete ihm der
Leimsieder den Schädel und rief: „Schweigen ist auch eine Antwort!"
Der Fall des Führers entschied den Tag. Des Schmiedes Genossen
hatten leichtes Spiel mit den Knechten des Ritters. Roß und Rüstung,
welche dieser: im offenen Felde so oft den Sieg verschafft über die Städter,
wurden in der engen Felsschlucht ihr eignes Verderben. Als sie vollends
den Herrn fallen sahen, wandten sie sich zur Flucht. Doch wurden etliche
niedergemacht und einige gefangen.
*) (Oberdeutsch) düster, dunkel.
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind], T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust]]